Holger Bormann: „Wir sprechen hier von einer Krise (…) vergleichbar mit einer Wirtschafts-krise nach dem 2. Weltkrieg“

Datum des Artikels 11.06.2020

1 Milliarde Euro für NEUSTART KULTUR – Was bringt uns das neue Hilfspaket? Darüber haben Holger Bormann (CDU), Stellvertretender Landesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion in Niedersachsen, und Dirk Wöhler, Präsident des Berufsverbandes Discjockey e.V., mit Moderatorin Michelle Kradel gesprochen.

..Persönliche Eindrücke aus der Branche gab es darüber hinaus von den DJs Robin Kirchhoff, Ric Einenkel von Stereoact, Anthony Stardust und Sebastian Jeglorz, die per Skype an dem Livestream teilnahmen.

 

1 Milliarde Euro soll es mit dem Rettungspaket „Neustart Kultur“ geben. Das hat die Staatsministerin für Kultur und Medien, Prof. Monika Grütters, bekanntgegeben. Mit dem Geld sollen unter anderem Veranstalter, Theater, Kinos und weitere Kultureinrichtungen unterstützt werden.

 

Dirk Wöhler hat mit der Staatsministerin Prof. Monika Grütters telefoniert und für ihn war es „ein Zeichen, dass man sich der Problematik und der großen Not in unserer Branche bewusst ist“. Aber Dirk Wöhler denkt auch, dass „es bis zu einem Impfstoff keine großen Veranstaltungen geben wird“. Holger Bormann schätzt es aus politi-scher Sicht so ein, dass mit dem Rettungspaket ein Start gemacht wird, um dann „nach 3-4 Monaten zu schauen, wie sich die Wirtschaft entwickelt und ob die Konjunktur wieder angesprungen ist“. „Wir sprechen hier von einer Krise, so hat es die Kanzlerin auch ausgedrückt, ver-gleichbar mit einer Wirtschaftskrise nach dem 2. Weltkrieg“. Holger Bormann be-tont weiter, „dass Deutschland da auch aus der Krise wieder rausgekommen ist (…) und da war es auch der Mittelstand, der dieses Land wieder aufgebaut hat“.

 

Viele DJs sind von schneller Hilfe abhängig, so auch Robin Kirchhoff, der viele Probleme und Forderungen an die Politik im Livestream benannte. Er betonte, wie viele Absagen er von vielen „irritierten Hochzeitspaaren“ bekam und wie schwierig die Lage als hauptberufli-cher DJ ist. Auch das Hilfspaket gibt ihm keine Hoffnung, stattdessen hat er viel Kritik: „Ich stelle mir das vor, wie jemand, der im künstlichen Koma liegt. Wir wollen ja gar keine Wimpernwelle, aber den lebensnotwendigen Sauerstoff und wenn man dann sagt, ihr bekommt 80% davon, was passiert? - Der stirbt nicht, der wird getötet“.

 

Er könnte sich mehrere Lösungsansätze vorstellen: „Ich finde für die Soloselbstständigen könnte man auch eine Art Kurzarbeitergeld auflegen, die Zah-len haben ja die Finanzämter“, „Unternehmerlohn“ sollte es in allen Bundesländern zusätzlich zur Grundsicherung geben und Unterstützung für Clubs, die auf lange Sicht nicht wieder öffnen können, um diese „Alltagskultur“ zu erhalten. Am vergangenen Wochenende hat Ric Einenkel mit Stereoact zwei Autokonzerte ge-spielt, aber „es war sehr skurril. Wie, als würde man vorm Lidl Parkplatz spielen. Aber es war schön, vor Publikum aufzutreten“. Er sieht es als Alternative, aber „keine Perspektive für die Zukunft“! Denn die Menschen wollen natürlich raus und fei-ern. Auch für ihn hat sich in diesem Sommer alles verändert. „Jetzt sind alle Shows auf Eis gelegt. Das sind über 60 Veranstaltungen, die weg sind. Wir mussten uns neu organisieren und sind ins Streaming gegangen, um den Leuten irgendwie na-he zu sein, auch wenn man kein Geld damit verdient“.

 

Die Plattform Twitch unter-sagt aber seit kurzem Streams von DJs, aufgrund von Urheberrechtsverletzungen. „Ich streame selber und spiele auch Songs von anderen Künstlern und die werden dann aufgrund von rechtlichen Geschichten gemutet.“ Auf der anderen Seite ist er auch Produzent und könnte gerade jetzt so Geld verdienen, wenn seine Songs irgendwo gespielt werden. Die Richtlinien sind stellenweise so streng auf den Plattformen, dass es ihm schon selbst passiert ist, dass sein eigener Song aufgrund von Urheberrechtsverletzungen erstmal blockiert wurde. Die Plattformen machen es DJs und auch Produzenten daher in der Coronakrise nicht leicht und sollten Regelungen finden, wie gestreamt werden kann, ohne die Künstler und Produzenten zu benachteiligen.

 

„Es gibt Ansätze und Soforthil-fen, aber das deckt natürlich nicht die Verluste, die wir alle jetzt über den Som-mer einfahren“. Für ihn ist der einzige positive Nebeneffekt: „Ich habe Lieder für 10 Alben“ in der Zeit produziert. Anthony Stardust versteht eine Kollegen, sieht die Streaming Plattformen aber nicht als das, „womit man sich in dieser Zeit befassen sollte. Sondern eher mit anderen Dingen, die ein bisschen wirkungsvoller sind“. Für ihn wurden ebenfalls von heute auf morgen alle Veranstaltungen abgesagt. Seine Kunden haben sogar schon für das ganze Jahr abgesagt „das ist natürlich extrem, weil keiner wusste, wann was wieder stattfinden darf und deswegen ist es jetzt sehr hart das ganze Jahr über. Keine Einnahmen, aber viele Ausgaben“. Für ihn wäre es wichtig, einen festen Termin zu haben, wann es wieder losgeht, denn „viele Kunden verschieben lieber auf 2021 oder sogar 2022, um sicher zugehen, dass nicht noch mal neu geplant werden muss“.

 

Manche seiner Kollegen haben deswegen sogar schon den Beruf gewechselt, um jetzt über die Runden kommen zu können, daher fordert er unter anderem „die Fördergelder auszuweiten“ und genauer in die Branche zu gucken. Sebastian Jeglorz zeigt nicht nur Verständnis für seine Kollegen, sondern zum Teil auch für die Maßnahmen der Politik. Er versucht Veranstaltungen unter allen Auflagen zu entwickeln. Besonders die aktuellen Demos, wie beispielsweise in Berlin, hält er aber für kont-raproduktiv, sollte es dort einen Corona-Ausbruch geben. Ein erneuter Lockdown würde die gesamte Branche zurückwerfen. Zeitgleich sieht er gerade Open Air Veranstaltun-gen, „die durchaus mit Abstand möglich wären. Da sind die Behörden noch sehr streng das sofort zu unterbinden, sobald das irgendwie nach Tanzveran-staltung aussieht“.

 

Er wünscht sich auch vor allem generelle Aussagen für ganz Deutschland und nicht einzelne Länder, „die dann vorpreschen“ und grundsätzlich „mehr Transparenz“. All diese Probleme und Lösungsvorschläge nimmt auch Holger Bormann mit in die nächs-ten Sitzungen bei CDU und MIT. Denn obwohl im Juli die Parlamente in Sommerpause ge-hen schätzt er, dass man „die Lage monatlich bewerten“ wird. „Wenn die Insolvenzwelle los geht, wird keine Landesregierung und auch keine Bundesregierung se-henden Auges in eine Mittelstandskatastrophe steuern“. Stattdessen werden viele Politiker Ihre Sommertouren betreiben und so sogar besser zu erreichen sein - das sieht er als Chance.